18 September 2007

Dienstag, 18.09.2007, ca. 7:00 Uhr morgens

Leicht missmutig entsteige ich der Regionalbahn auf einem kleinen Bahnhof in einem winzigen Ort, an dem ich das eigentlich gar nicht will. Und strebe nun dem Haus zu, in dem zufälligerweise mein Bett steht.

Ich will hier nicht sein - ich will zurück in die wunderbare Berliner Nacht, die mich so redselig machte und mich andere redselig machen ließ. Die mich mit einem wohlig warmen Händedruck und einer burschikosen Umarmung entließ, hinaus in einen Morgen, der nun wahrlich nichts Schönes zu bieten hat. Nur die Provinz.

Auf dem Weg zu meiner Schlafstatt komme ich an der Bushaltestelle vorbei, von der aus ich das schwere Los hatte, in die Kreisstadt zur höheren Schule fahren zu müssen – mitten in der Nacht. Heut morgen stehen dort meine Nachfolger.

Ihr Tag beginnt - was mag er bringen?

Mein Tag endet hier fürs erste.

Was habe ich es doch besser als sie...

Irgendwie fühl ich mich ausgebrandenburgt.

24 August 2007

Morgendliche Erheiterung

Der Dorfsupermarkt an sich kann ja schon Horror sein, siehe „Die Hinterland-Drachen“ weiter unten. Da turnen annähernd den ganzen Tag irgendwelche älteren Herrschaften rum, weil sie eben sonst keine Trashcommunity, pardon, Tratschbörse mehr haben im gemeindegebietsreformierten Brachland jenseits der Hauptstadt. Gut, man kennt das und umkurvt dank jahrelanger Übung geschickt den Gerontenparcours. Aber das ist ja nicht das einzige Grauen, was einem im Aunt-Emma-Shop des 21. Jahrhunderts begegnet! Neinnein!

Da gibt es auch noch die Plage der jungen Mütter, die alles richtig machen wollen und daher mit ihren Blagen zu diskutieren versuchen. Eine solche samt ihrem quietschfidelen Nachwuchs lief mir gerade über den Weg. Man möge mir verzeihen, dass ich mich vehement auf die Seite des Sprösslings schlage, der folgende Dialog erhellt vermutlich das Zustandekommen dieser meiner Parteinahme...


Dramatis Personae:

Sie – Ende 20

Er – ca. 5


Sie: „Na, Pascal (Name aus Mitleid geändert, das Original war noch arger dem Kevinismus entlehnt), was möchtest du denn heute zum Mittag essen?“

Er: „Brötchen mit Schokocreme!“

Leicht genervtes Lächeln seitens der Erziehungsberechtigten.

Sie: „Aber Pascal (durch Wiederholung wird der Name nicht schöner...), man kann doch keine Brötchen mit Schokocreme zum Mittag essen! Such dir was anderes aus.“

Der so grausam benamste Knabe grübelt einen Moment.

Er: „Schokocreme ohne Brötchen!!“

Der Kleine strahlt ob seiner Schläue, die Mutter verdreht die Augen, die Erzählerin kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Sie: „ Nein, es muss was ohne Schokolade sein, Pascal!“

Wenn ich diesen Namen noch einmal hören muss, werde ich stante pede wahnsinnig – und der Jüngling offensichtlich auch, die Mundwinkel verziehen sich zitternd schon gefährlich in Richtung Erdmittelpunkt...

Doch da hält er noch einmal inne und bedenkt seine Zuchtmeisterin mit dem wissendsten Blick, den ich je sehen durfte, um die einzig relevanten Worte dieser Szene zu sprechen, mit vorwurfsvoller, tränenbebender Stimme:

„Warum fragst du mich denn dann überhaupt??“

Nobelpreisverdächtig, der Bursche, Hut ab!

08 August 2007

Der Diät-Tipp des Jahres

Ihr Lieben da draußen, wenn Euch mal wieder der kleine Hunger plagt, schaut Euch eine Chartshow an! Egal ob von Sat7ProRTL1 oder im Öffi, es wird einem IMMER schlecht. Zuverlässiger lässt sich der eigene Würgreiz kaum stimulieren.

Letzte Nacht kam ich in den zweifelhaften Genuss einer Wiederholung der so circa 2004 erstgesendeten „100 nervigsten Sommerhits“, allein der Titel der Sendung hätte einen Platz in ihrer eigenen Top Ten verdient. Das Ganze funktioniert auf allen Sendern nach dem gleichen Prinzip: man setze drei Dutzend halbprominente Dummdödel in eine Bluebox, spiele ihnen schlechte Musik vor und lasse sie labern, was das Hirn hergibt. Oder eben nicht hergibt. Die Musik ist egal, die Leute sind noch egaler, Hauptsache alles schön bunt und vor allem laut. Im gestrigen Grauen gab es nur einen Lichtblick – Mirja Boes. Die auch als Stimmungssängerin „Möhre“ auftretende schlagfertige, intelligente Blondine hat mir doch tatsächlich den Abend gerettet. Sie kam mit ihrem Mallorca-Hit „Das sind nicht 20 Zentimeter“ im übrigen auf Platz 11, ein schöner, ähm, Erfolg wäre jetzt doch übertrieben...

Nun mal zu den Details des Abends: Die Musik war wie zu erwarten belanglos, man hatte natürlich alles schon mal gehört, bei vielem war fraglich, ob das überhaupt in die massiv aufgepfropft wirkende Kategorie Sommerhits passte. Aber egal, es war ja bunt und laut und wenigstens kam das Wort Sonne in verschiedenen Sprachen in jedem Lied ein, zweimal vor, es wurde viel an Stränden rumgehüpft, das reicht ja dann auch. Die Auswahl war so langweilig und vorhersehbar, dass sie nur von den Kommentaren des Panels und dem Moderator Ingolf Lück unterboten wurde – der Mann braucht entweder dringend ein Hörgerät oder eine Stimmband-OP, vielleicht hört er dann auf mit der ständigen Schreierei.

Abgesehen davon, dass mir das gesamte Konzept dieser Hitlisten-Shows komplett schleierhaft ist (was soll sowas überhaupt?), war ich mit Platz 27 absolut nicht einverstanden – Tom Jones und Sexbomb waren für mich der einzig sinnige Titel im Feld. Ficken rules! Das ist doch die Kernaussage jeden Sommerhits, ob Rap oder Schlager, oder verstehe ich da was grundlegend falsch?

Nach zweieinhalb Stunden (ja, ich bin ausdauernd und leidensfähig) kann ich nicht behaupten, dass diese grob geschätzt 10millionste Trallafiti-Musiksendung mir irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht hätte. Eher im Gegenteil, die Songs fand ich alle doof – keine Überraschung – und die Präsentation war auch erwartungsgemäß unterirdisch. Grottig trifft es wohl am besten, wenn man mich nach meinem Gesamteindruck fragt. Auf jeden Fall hatte ich danach keinerlei Appetit mehr, das zumindest scheint mir ein Vorteil dieses Formates zu sein.

Was bleibt also? Ach ja, die Nummer 1 nachzureichen: Dragostea Din Tei von O-Zone. Gab’s das nicht auch von Haiduci? Und von Oliver Kalkofe? Na ja, scheißegal, im Endeffekt auch nicht mieser als der Rest...

05 August 2007

Eine leider wirklich wahre Geschichte

Gestern Abend im studentischen Automobilersatz – der Regionalbahn: Ich, auf dem Weg zur Maloche. Eh schon nur mäßig gut gelaunt ob der Aussicht auf zehn Stunden Frohndienst begegnete mir dann das Grauen auf insgesamt acht Beinen.

Diese waren verteilt auf drei fahrradschiebende, birkenstockbeschuhte, batikbehängte, nickelbebrillte Extremendzwanzigerinnen und dem von ihnen mitgeführten Professor für Pädagogik. Dass es sich um einen solchen handelte, war eigentlich auf den ersten Blick am abgewetzten Cordanzug, dem Vollbart und der auch von ihm getragenen obligaten Nickelbrille zu erkennen; letzte Gewissheit stellte sich jedoch ein nach den ersten Halbsätzen, die sich von der Horde zu mir rüber hangelten.

Mein bis zur Lähmung entsetztes Hirn war zunächst konfrontiert mit der schier absurd scheinenden Wortkombination „Ernährungswissenschaften auf Lehramt“ - und erkannte dann resignierend, dass es sich dabei tatsächlich um einen zumindest auf dem Papier anerkannten Studiengang handeln musste, dem diese Wesen alle angehörten. Um diese Erkenntnis loszuwerden schüttelte ich den Kopf und versuchte, mich wieder auf meinen Krimi zu konzentrieren. Wozu fährt man schließlich Bahn, wenn nicht zum Lesen! Allein, es half nichts. Das Salbadern war zu laut und zu abstrus, als dass man sich ihm hätte entziehen können.

Um die Ungeheuerlichkeit des nun Folgenden angemessen zu würdigen, muss ich betonen, dass wir uns auf dem Weg von Potsdam nach Berlin befanden und es sich hier um eine leider viel zu häufig vorkommende Spezies Mensch (oder so was ähnliches) handelte: fränkische (schwäbische, bayrische, beliebig fortzusetzen...) Oberschülerinnen mit gutem Abitur und schon mindestens einer abgeschlossener Ausbildung sowie einem bereits abgebrochenen Studium, die es nun noch einmal wissen wollen und sich mittlerweile massenhaft in der Hauptstadt ablagern – allerdings nur zum wohnen und was die so leben nennen. Studiert wird natürlich in Potsdam. Aber nicht, weil es dort schöner ist (ein im Übrigen völlig zutreffendes Argument), sondern weil man sie an den Berliner Unis nicht haben wollte. Dabei wäre ersteres ein wesentlich besserer, weil weit weniger peinlicher Grund.

Und dieses elendig alternative Zeckenpack wagte es doch jetzt, sich unisono über die Lebensbedingungen in Berlin bei einander zu beschweren! Ein Einheimischer hätte nur lax mit den Schultern gezuckt ob der „Unverschämtheiten“, die den gestandenen Weibsbildern allenthalben entgegengebracht, ja sogar beinahe täglich zugemutet wurden.

Da wird man beim Bäcker mit einem frischen, direkten „Tach. Watt wolln’se?“ begrüßt, in Berlin eine höfliche Anrede, von Schwaben unergründlicherweise als Angriff verstanden. Und wer immer noch nicht verinnerlicht hat, dass man in der U-Bahn keine Fahrräder mit in den ersten Wagen nehmen darf, dem wird es mit typischem Berliner Charme über den Lautsprecher extra noch einmal markant-freundlich mitgeteilt: „Sofort raus da! Keene Fahrräder in’n ersten Waagn, is det klar?!?“. Auf Anfrage nach dem Weg oder auch nur der Uhrzeit bekäme man lediglich die Antwort „Hä?? Watt?“, immerhin doch das meistgebrauchte deutsche Fragewort, und auch noch gepaart mit einer liebenswürdigen Nachfrage! Auch „Vafatz dir!“ als galanten Hinweis darauf, dass man im Weg steht, wurde seitens der Südländerinnen offensichtlich völlig missinterpretiert. Und überhaupt sei alles so kalt und unmenschlich in Berlin, das wäre eine Zumutung...

Ja, Mädels, dann geht doch wieder heim in eure Kuschelzonen jenseits des Weißwurstäquators!

Berlin ist hart, aber fair. Da bekommt man schon mal ein „Du siehst scheiße aus, vapiss dir!“ in der Kneipe an den Kopf geworfen. Berlin ist das größte Dorf der Welt, und wer sich nicht in die Dorfgemeinschaft einzufühlen vermag, der hat einen schweren Stand. Er wird nie den Tonfall der Leute verstehen, die dieses Dorf von Natur aus bewohnen. Und die es inzwischen mit immer mehr Zugereisten aus anderen Weltteilen (Köln, München, Stuttgart...) aushalten müssen. Niemand passt sich mehr an, jeder bringt seine eigene doofe kleine "Szene" mit und müllt damit die Gegend zu. Widerlich. Lang lebe Berlin und sein ehrlicher, herber Charme!