23 September 2005

Die Hinterland-Drachen

Wenn irgendwann einmal Außerirdische diese unsere kugelige Erde besetzen, was werden sie finden?

Nun, hier im Hinterland hauptsächlich uralte Drachen, die von Dorftratsch und Volksmusiksendungen leben.

Es ist durchaus faszinierend, die Drachenweibchen in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Supermarkt, zu beobachten. Belauscht man ihre Schwafelei, so erlebt man die Renaissance des Hörensagens: der Schwager des Freundes der Schwester des Mannes von... Ehrlich, ich habe keine Ahnung, wozu dieser an sich sinnfreie Austausch von Satzfragmenten nütze ist. Doch der Forschergeist in mir vermutet, dass es sich hier um eine lebenserhaltende Maßnahme handeln muss. Wahrscheinlich sammeln sich über Nacht jede Menge Worte im Kopf der Drachen an, und am nächsten Morgen muss dieses Depot dann erst einmal geleert werden, um neue Nachrichten aufnehmen zu können. Zum Beispiel die, dass der Vetter des Bekannten des Schwagers der Nachbarin...und so weiter.

Während also die Drachenweibchen morgens ihre Köpfe mit Geschwätz vor dem Platzen retten und dem Informations- und Warenumschlagplatz regen Umsatz bescheren, was tun ihre Männchen?

Sie schlurfen bedächtig durchs Dorf, auf der Suche nach anderen Drachenmännchen, um sich mit ihnen in den klassischen Disziplinen der maskulinen Drachenwelt zu messen: „Fahrrad schieben“, „Straße kehren“, „über die Regierung schimpfen“ (übrigens völlig unabhängig davon, wer gerade regiert) und „wer hat den coolsten Cordhut auf“. Sind diese und andere wichtigen Fragen wie „wer zahlt heut' eigentlich den Frühschoppen“ geklärt, geht es ab ins männliche Gedankenaustausch-Etablissement, die so genannte Bahnhofskneipe. Da sitzen sie dann, schimpfen wahlweise weiter über die Regierung oder ihre Weibchen und trinken Bier bis es gegen Mittag Zeit ist, in die heimische Höhle zu schlurfen und gemeinsam mit dem Weibchen diverse Lebensmittel zu verzehren sowie die frisch erworbenen Neuigkeiten auszutauschen.

Anschließend begeben sich beide wieder in ihre Wirkungsbereich und verbreiten die soeben empfangenen „Hot News“ aus dem andersgeschlechtlichen Lager in der eigenen Abteilung bis es dunkel wird. Dann schließen die Info-Börsen und die Drachen gehen nach Hause, um die Dunkelheit mit lustigem Fernsehgeflacker zu vertreiben, die Stille mit launiger Volksmusik zu bekämpfen und sich die leergequasselten Köpfe mit neuem Unsinn zu füllen. Derart umfassend beschallt legen sie sich hin, verarbeiten all das überflüssige Gesabbel des Tages im Schlaf und stehen am nächsten Morgen gut erholt auf, um ihr Tagwerk zu beginnen.

„Hast du eigentlich schon gehört, dass...“

Bis in alle Ewigkeit.