05 August 2007

Eine leider wirklich wahre Geschichte

Gestern Abend im studentischen Automobilersatz – der Regionalbahn: Ich, auf dem Weg zur Maloche. Eh schon nur mäßig gut gelaunt ob der Aussicht auf zehn Stunden Frohndienst begegnete mir dann das Grauen auf insgesamt acht Beinen.

Diese waren verteilt auf drei fahrradschiebende, birkenstockbeschuhte, batikbehängte, nickelbebrillte Extremendzwanzigerinnen und dem von ihnen mitgeführten Professor für Pädagogik. Dass es sich um einen solchen handelte, war eigentlich auf den ersten Blick am abgewetzten Cordanzug, dem Vollbart und der auch von ihm getragenen obligaten Nickelbrille zu erkennen; letzte Gewissheit stellte sich jedoch ein nach den ersten Halbsätzen, die sich von der Horde zu mir rüber hangelten.

Mein bis zur Lähmung entsetztes Hirn war zunächst konfrontiert mit der schier absurd scheinenden Wortkombination „Ernährungswissenschaften auf Lehramt“ - und erkannte dann resignierend, dass es sich dabei tatsächlich um einen zumindest auf dem Papier anerkannten Studiengang handeln musste, dem diese Wesen alle angehörten. Um diese Erkenntnis loszuwerden schüttelte ich den Kopf und versuchte, mich wieder auf meinen Krimi zu konzentrieren. Wozu fährt man schließlich Bahn, wenn nicht zum Lesen! Allein, es half nichts. Das Salbadern war zu laut und zu abstrus, als dass man sich ihm hätte entziehen können.

Um die Ungeheuerlichkeit des nun Folgenden angemessen zu würdigen, muss ich betonen, dass wir uns auf dem Weg von Potsdam nach Berlin befanden und es sich hier um eine leider viel zu häufig vorkommende Spezies Mensch (oder so was ähnliches) handelte: fränkische (schwäbische, bayrische, beliebig fortzusetzen...) Oberschülerinnen mit gutem Abitur und schon mindestens einer abgeschlossener Ausbildung sowie einem bereits abgebrochenen Studium, die es nun noch einmal wissen wollen und sich mittlerweile massenhaft in der Hauptstadt ablagern – allerdings nur zum wohnen und was die so leben nennen. Studiert wird natürlich in Potsdam. Aber nicht, weil es dort schöner ist (ein im Übrigen völlig zutreffendes Argument), sondern weil man sie an den Berliner Unis nicht haben wollte. Dabei wäre ersteres ein wesentlich besserer, weil weit weniger peinlicher Grund.

Und dieses elendig alternative Zeckenpack wagte es doch jetzt, sich unisono über die Lebensbedingungen in Berlin bei einander zu beschweren! Ein Einheimischer hätte nur lax mit den Schultern gezuckt ob der „Unverschämtheiten“, die den gestandenen Weibsbildern allenthalben entgegengebracht, ja sogar beinahe täglich zugemutet wurden.

Da wird man beim Bäcker mit einem frischen, direkten „Tach. Watt wolln’se?“ begrüßt, in Berlin eine höfliche Anrede, von Schwaben unergründlicherweise als Angriff verstanden. Und wer immer noch nicht verinnerlicht hat, dass man in der U-Bahn keine Fahrräder mit in den ersten Wagen nehmen darf, dem wird es mit typischem Berliner Charme über den Lautsprecher extra noch einmal markant-freundlich mitgeteilt: „Sofort raus da! Keene Fahrräder in’n ersten Waagn, is det klar?!?“. Auf Anfrage nach dem Weg oder auch nur der Uhrzeit bekäme man lediglich die Antwort „Hä?? Watt?“, immerhin doch das meistgebrauchte deutsche Fragewort, und auch noch gepaart mit einer liebenswürdigen Nachfrage! Auch „Vafatz dir!“ als galanten Hinweis darauf, dass man im Weg steht, wurde seitens der Südländerinnen offensichtlich völlig missinterpretiert. Und überhaupt sei alles so kalt und unmenschlich in Berlin, das wäre eine Zumutung...

Ja, Mädels, dann geht doch wieder heim in eure Kuschelzonen jenseits des Weißwurstäquators!

Berlin ist hart, aber fair. Da bekommt man schon mal ein „Du siehst scheiße aus, vapiss dir!“ in der Kneipe an den Kopf geworfen. Berlin ist das größte Dorf der Welt, und wer sich nicht in die Dorfgemeinschaft einzufühlen vermag, der hat einen schweren Stand. Er wird nie den Tonfall der Leute verstehen, die dieses Dorf von Natur aus bewohnen. Und die es inzwischen mit immer mehr Zugereisten aus anderen Weltteilen (Köln, München, Stuttgart...) aushalten müssen. Niemand passt sich mehr an, jeder bringt seine eigene doofe kleine "Szene" mit und müllt damit die Gegend zu. Widerlich. Lang lebe Berlin und sein ehrlicher, herber Charme!

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